Michael Kernbach zu: Zeitsyndrom
(TV, 25.5.04)

Damals wie heute

Das Modell Mensch zeigt, obwohl es seit dem Homo erectus einige Korrekturen durchlaufen hat, immer noch Schwachstellen. Etwa bei der Wahrnehmung. Wenn eine Generation unserer Gattung inmitten goldener Zeiten lebt, dann merkt sie das oft gar nicht. Dann wachen die Leute eines morgens alt und klapperig auf, sehen sich um und nuscheln enttäuscht: "Früher war alles besser!" Wie aber checkt man rechtzeitig, dass es gerade gut läuft? Ab und an mal Rückschau halten, Freunde!

Am besten gleich jetzt: heute vor zehn Jahren. Was sehen wir? Das tiefste Mittelalter! Da fehlte es überall am Allernötigsten: Kneipen ohne WLAN-Spots, keine Fotohandys, null Bodypiercings - eine quasi kulturfreie Zeit. Das erklärt vielleicht auch ein paar andere Unfassbarkeiten. Wie etwa das einzige Aufführungsverbot eines Theaterstücks in der Geschichte der Bundesrepublik. Vom 27. Mai 1994. Angestrengt durch das Bistum und vollzogen durch die Stadt Trier, die schon immer für eine spektakuläre Einzelleistung gut gewesen ist, wurde die Premiere der Rockoper "Das Maria-Syndrom" wegen möglicher Verletzung religiöser Gefühle abgeblasen.

Der Autor, Philosoph und Musiker Doktor Michael Schmidt-Salomon hatte diesem Werk einige eigenwillige Ideen zur unbefleckten Empfängnis zugrunde gelegt. Das Musical parkt auch heute noch in der Verbotszone, gleich neben echten Horrorschockern wie Hitlers "Mein Kampf". Und das in Zeiten, in denen an Ostern in Deutschlands Multiplexen ein Splatter-Movie wie "Die Passion Christi" lief und in jedem dritten "Tatort" satanistische Rituale zelebriert werden! Abgefahren! Dem Herrn Doktor hat die Riesenwelle im Übrigen nicht mal geschadet. Von der katholischen Kirche mit soviel offiziöser Aufmerksamkeit bedacht, ist dem Olewiger Schmidt-Salomon mittlerweile der Aufstieg in die Bel Etage der führenden Religionskritiker gelungen. Da gratulieren wir mal herzlich zum zehnjährigen Ungeburtstag, verweisen auf die Internet-Präsentation zum Jubiläum unter www.maria-syndrom.de und wenden uns kopfschüttelnd in unsere Zeit, in der solche Provinzpossen absolut unmöglich wären. Oder?!

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