Stellungnahme im Rahmen der mündlichen Verhandlung am Oberverwaltungsgericht Koblenz (2.12.1996)
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Was waren die Gründe dafür, dass am 27. Mai 1994 die Uraufführung des Rock-Comicals
"Das Maria-Syndrom" untersagt wurde? Warum wurden damals KünstlerInnen unter
Androhung von Polizeigewalt daran gehindert, die Früchte ihrer sowohl intensiven als auch
extensiven Probearbeit zu ernten? Und weshalb durften sich interessierte, mündige
Bürgerinnen und Bürger nicht selbst ein Bild von der Qualität dieser
religionskritischen Rock-Theater-Produktion machen? < br>
Als Autor des verbotenen Stückes habe ich mich natürlich besonders intensiv mit diesen
Fragen beschäftigt. Da ich - wie Sie wahrscheinlich aus den Unterlagen entnehmen können
- meinen Lebensunterhalt als Sozialwissenschaftler bestreite, weiss ich natürlich, dass
das Verbot des Stücks nicht monokausal erklärt werden kann. Wie bei jedem anderen
gesellschaftlichen Phä- nomen - so gab es auch hier unzählige Ursachenketten, die in
ihrem komplexen Zusammenspiel irgendwie zum Verbot des "Maria-Syndroms"
beigetragen haben. (Ein Soziologe würde hier z.B. auf den gesellschaftlichen Trend der
postmodernen Auflösung verbindlicher Sinnstandards verweisen, denn die daraus
resultierende "Neue Unübersichtlichkeit" hat eine antiliberalistische
Fluchtbewegung zur Folge, welche sich u.a. im teilweise militant vorgetragenen Wunsch nach
Rettung der einstigen, klar überschaubaren Normen äussert).
So sehr diese differenzierte Betrachtungsweise auch stimmt, es wäre dennoch eine
akademische Erbsenzählerei, eine massive Verkennung von Tatsachen, würde man nicht klar
herausstellen, dass für das Verbot des Maria-Syndroms in erster Linie doch zwei sehr
handgreifliche Gründe ausschlaggebend waren, nämlich
1. die Mitgliedschaft des direkt verantwortlichen Politikers, Herrn Bürgermeister Dr.
Neuhaus, im christlich-fundamentalistischen Geheimorden "Opus Dei"
2. die wahltaktischen Überlegungen der Christlich Demokratischen Union.
Zu 1) Wie zuletzt auch in der RTL extra - Sendung vom 11.11.96 berichtet wurde, ist
Herr Dr. Neuhaus, dem u.a. das Trierer Ordnungsamt untersteht, Numerarier, d.h.
Voll-Mitglied von Opus Dei. Das bedeutet: Herr Neuhaus ist nicht nur zu Armut (sein
Bürgermeistergehalt fliesst in die Taschen des Ordens) Bussgürteltragen (2 Stunden
täglich!) und harter Selbstgeisselung (mindestens eine halbe Stunde wöchentlich)
verpflichtet, sondern auch dazu, alles Mögliche im Sinne einer Rechristianisierung der
Gesellschaft zu unternehmen.
Hierzu heisst es in einer internen Opus Dei-Schrift: "Wir haben den grossen Ehrgeiz,
die Institutionen der Völker, der Wissen- schaft, Kultur, Zivilisation, Politik, Kunst
und sozialen Beziehungen zu heili- gen und zu christianisieren. Alles sollte christlich
sein als ein kollektiver gesell- schaftlicher Ausdruck des Glaubens des Menschen und als
ein Werkzeug, Seelen zu retten, sie in ihrem Glauben zu erhalten und zu Gott zu
führen"
Der HITLER- und FRANCO- freundliche Gründer des Opus Dei, Josemaria ESCRIVA, liess keinen
Zweifel daran, dass es im Notfalle, also falls es mit der freiwilligen Christianisierung
nicht so richtig klappen sollte, angebracht ist, "heiligen Zwang" einzusetzen.
Seine Begründung: "Um ein irdisches Leben zu retten, wendet man unter dem Beifall
aller jede mögliche Gewalt an, um den Menschen vom Selbstmord zurückzuhalten. - Sollen
wir nicht den gleichen Zwang anwenden, den heiligen Zwang, um das Leben vieler zu retten,
die idiotischerweise unbedingt den Selbstmord ihrer Seele verüben wollen?"
Meines Erachtens hat Herr Neuhaus nichts anderes getan, als diesen Worten seines geliebten
"Vaters" ESCRIVA zu gehorchen. Er wendete "heiligen Zwang" an. Und er
tat dies sicherlich mit bestem Gewissen, denn er war damals (und ist natürlich auch heute
noch) davon überzeugt, dass Zensur ein legitimes Mittel ist, um zu verhindern, dass
Menschen vom richtigen, nämlich christlichen, oder genauer: streng katholischen Weg
abkommen.
Genaugenommen ist für Herrn Neuhaus ein Leben ohne Zensur überhaupt nicht vorstellbar,
denn innerhalb des Opus Dei ist Zensur an der Tagesordnung. Hierzu heisst es in einer
internen Schrift, dem sogenannten "Vademecum für die örtlichen Räte":
"Konkret darf man ohne die notwendige Erlaubnis nicht lesen: die Bücher, die von der
zuständigen kirchlichen Behörde ausdrücklich verworfen sind; die Bücher und Artikel
von nicht-katholischen Autoren, die ausdrücklich religiöse Themen behandeln, es sei
denn, sie enthalten mit Gewissheit nichts gegen Glaube oder Sitten; die Schriften, die im
Widerspruch zum Glauben und zu den Sitten stehen; [...]die Bücher, die zwar nicht
ausgesprochen antikatho- lisch, häretisch, unmoralisch usw., aber doch zweideutig und
verwirrend (und darum gefährlich) im Hinblick auf Glauben und Moral sind."
Aber selbstverständlich bergen nicht nur Bücher Gefahr für die Einheit von Glauben und
Moral, auch in persönlichen Briefen können sich natürlich auch immer wieder Passagen
einschleichen, die für Verwirrung sorgen könnten. Darum greift die jeweilige örtliche
Opus Dei - Führung auch hier liebevoll zensierend ein: "Leute, die dem Werk erst
kurz angehören, sind dankbar, wenn die Mitglieder des Örtlichen Rats die Lektüre der an
sie gerichteten Briefe wohlwollend übernehmen - dies gehört zur Aufgabe der Formung -,
denn so können sie ihnen Orientierung, Hilfestellung und den geeigneten geistlichen oder
apostolischen Rat geben."
Aber nicht nur die schriftsprachlichen Medien (Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, Briefe)
sind der Zensur unterworfen, sondern auch alle anderen Medien (besonders gefährlich:
Fernsehen und Radio, Mitglieder besitzen daher in der Regel auch keine Empfangsgeräte
für den persönlichen Gebrauch.) Widerspruch gegen solche Zensurregelungen ist
selbstverständlich nicht erlaubt, Kritik im höchsten Masse angstbesetzt, denn - wie das
ehemalige Mitglied STEIGLEDER betont - :
"Zu der Ausbildung des Opus Dei gehört neben vielem anderen die Vermittlung grosser
Angst vor ewiger Verdammnis und Hölle. (...) Wer (...) den sicheren Weg des Gehorsams im
Opus Dei, wer seine Berufung verlässt, begibt sich in eine grosse Gefährdung, in die
Gefahr ewiger Verdammnis. Er gibt einen sicheren Weg auf und beginnt höchst unsichere und
heikle Wege zu beschreiten."
Aus Zeitgründen kann ich hier nicht näher auf das Thema eingehen (ich verweise auf die
einschlägige Literatur, die übrigens zum Grossteil von gläubigen ChristInnen
geschrieben wurde).
Eine abschliessende Bemerkung sei aber erlaubt: Wenn man heute darüber diskutiert,
ScientologInnen den Eintritt in den Staatsdienst zu verwehren, so ist es lächerlich,
gleiches nicht auch für Opus Dei-Mitglieder zu fordern, denn das "Werk Gottes"
ist für die traditionell schwächliche Demokratie in unserem Land weitaus gefährlicher
als die Scientology Church.
Nun zu Punkt 2)
Herr Neuhaus wurde in seinen Verbotsbestrebungen unterstützt durch seine christlich
demokratischen Parteikollegen, die ihr erfolgreiches Eingreifen im Fall
"Maria-Syndrom" geschickt im Wahlkampf einsetzten. (SPD-PolitikerInnen sagten
nach der Wahl, dass ihr schlechtes Ergebnis in der Region Trier zum Teil auch auf den
Skandal um das "Maria-Syndrom" zurückzuführen sei.)
Wie dem auch sei: Der Zeitpunkt des Verbotes war auf jeden Fall optimal plaziert: ein Tag
vor der geplanten Uraufführung und knapp eine Woche vor den Bundestagswahlen. Zufall?
Unwahrscheinlich, denn die Tatsache, dass die Ordnungsverfügung zu diesem strategisch
günstigen Zeitpunkt erfolgte, ist nicht darauf zurückzuführen, dass die Stadt erst zu
diesem Zeitpunkt von dem Stück erfahren hat (Hierzu muss man wissen, dass das
Maria-Syndrom als offizielles Kultursommer-Projekt der Tuchfabrik Trier vorgesehen war,
weshalb es schon Monate zuvor zahlreiche Verhandlungen und Querelen mit Stadt und Land
gegeben hat. Hierzu gibt es auch einige Presseberichte in der Kleinen Alternativen Trierer
Zeitung (KATZ), die - wie wir aus Erfahrung wissen - auch vom Ordnungsamt der Stadt
gründlichst gelesen wird. Deshalb ist die Behauptung, die Stadt habe erst kurz vor der
Aufführung von dem Stück erfahren, schlicht und ergreifend unwahr. (Einschränkend muss
ich sagen, dass dies möglicherweise nicht für Herrn Neuhaus gilt, der aufgrund der oben
angeführten Zensurbestimmungen seines Ordens, weder am alternativen kulturellen Leben
seiner Stadt teilnehmen noch die KATZ lesen darf und im katholischen Bistumsblatt wurde
das Maria-Syndrom tatsächlich nicht erwähnt.)
Aber verlassen wir das Jahr 1994. Was die ganze Angelegenheit für meinen Geschmack
besonders pikant macht, ist, dass das Thema "Maria-Syndrom" fast genau zwei
Jahre später wieder passend zur Wahlkampfzeit in den Medien auftauchte. Wieder ein
Zufall? Da bin ich mir nicht sicher, denn: Ist es so völlig aus der Luft gegriffen, was
der Kommentator der Zeitschrift MIZ in seinem Bericht über das letzte
Maria-Syndrom-Urteil des Verwaltungsgerichts Trier schreibt?
Ich zitiere aus der Ausgabe 2/96:
"Die Begleitumstände des Verfahrens legen es [...] nahe, hier eine korrupte
politische Justiz am Werke zu sehen. Denn das Urteil erging gerade noch rechtzeitig, um in
der Schlussphase des rheinland-pfälzischen Wahlkampfes noch einmal Stimmung im Sinne der
Konservativen zu machen. So wurde es von der Pressestelle des Gerichts auch umgehend an
die Medien gemeldet, die Kläger erfuhren von der Entscheidung aus der Presse.[...] Da die
Absicht, Wahlkampfhilfe zu leisten, den Urteilsspruch allzu offensichtlich motiviert hat,
dürfte er in der angekündigten Revision [also hier und heute] auch nur schwerlich
Bestand haben."
Damit komme ich zur eigentlich entscheidenden Frage, die wir heute zu klären haben:
Gibt es ausser den angeführten christlich-fundamentalistischen bzw. wahltaktischen
Gründen auch überzeugende juristische Gründe, auf die sich ein Verbot des Stücks
stützen liesse?
Die Antwort hierauf kann nur lauten: NEIN!
Es kann doch nicht dem Geist unserer Verfassung entsprechen, wenn zentrale Grundrechte
(nämlich die Kunstfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäusserung und -bildung)
eingeschränkt werden, wenn durch Ausübung dieser Grundrechte gleichrangige Rechtsgüter
nicht bedroht sind. (Wohlgemerkt: Durch die Aufführung des Stücks wäre niemand daran
gehindert worden, seine Religion auszuüben. Die Beeinträchtigung hat ja genau in
umgekehrter Richtung stattgefunden. Die Ma cht der christlichen Kirche hat uns daran
gehindert, Kunst auszuüben.)
Selbstverständlich wird auch der Paragraph 166 StGB, der dem Grundgesetz untergeordnet
ist, durch das "Maria-Syndrom" in keinster Weise tangiert. Ich kann es nur als
einen Ausdruck einer fundamentalistischen Wahnidee verstehen, wenn man glaubt, dass der
öffentliche Friede durch die Aufführung eines musikalischen Comicstrips gefährdet ist.
Einer korrekten wissenschaftlichen Wirkungsanalyse würde eine solche Behauptung niemals
standhalten.
Und überhaupt werden in der bisher von der Justiz befürworteten Betrachtungsweise die
realen Machtverhältnisse völlig umgedreht: Da erscheint doch tatsächlich die weltweit
machtvoll agierende, kirchlich organisierte Christenheit als ein Zusammenschluss
Ohnmächtiger, die man vor den bösen Zungen mächtiger Gotteslästerer zu schützen habe!
Als wäre der beissende Spott religionskritischer KünstlerInnen nicht auch zu verstehen
als ein Ausdruck der gese llschaftlichen Ohnmacht all derer, die das zarte Pflänzchen der
aufklärerischen Vernunft zu schützen gedenken! Was bleibt konsequenten HumanistInnen
denn anderes übrig, als mit den Mitteln der Vernunft, des Humors und des Spotts zu
kämpfen gegen die letztlich menschenfresserische Allmacht jenseitsgestützter Dummheit?
Werfen Sie doch einen Blick in die Geschichte. Sie werden keinen Agnostiker finden, der
jemals den öffentlichen Frieden gefährdet, der Menschen tyrannisiert, unterdrückt, zum
Völkermord aufgerufen hätte - und das aus gutem Grund: Agnostiker sind nämlich in der
Lage, ihre falschen Ideen sterben zu lassen, bevor sie (oder andere) für falsche Ideen
sterben müssen. Genau dies ist jedoch bei echten Religiösen allzu häufig nicht der
Fall. Ihnen wurde ja offenbart, was wahr und falsch ist. Und wenn man nicht an ihre
Verlautbarungen glaubt, dann wird man eben dran glauben! Nicht umsonst zieht sich die
Blutspur der Religionen wie ein roter Faden durch die Geschichte der Menschheit.
Und weil dies insbesondere auch für das Christentum gilt, ist die Formulierung "die
Kirche sei eine der grössten Verbrecherorganisationen der Menschheitsgeschichte"
(eine Formulierung, die - wohlgemerkt! - in dieser Eindeutigkeit nicht im Textbuch steht)
keine Beleidigung, sondern eine Tatsachenfeststellung. Ja, dem vielleicht bedeutendsten
Kirchenkritiker dieses Jahrhunderts, Karlheinz DESCHNER, zufolge müsste man sogar den
unbestimmten Artikel "eine" durch den bestimmten Artikel "die"
ersetzen. DESCHNER bekräftigt die Auffassung, dass die christliche Kirche die grösste
Verbrecherorganisation der Menschheitsgeschichte ist, in einem veröffentlichten
Gerichtsgutachten folgendermassen.:
"Nach intensiver Beschäftigung mit der Geschichte des Christentums kenne ich in
Antike, Mittelalter und Neuzeit, einschliesslich und besonders des 20.Jahrhunderts, keine
Organisation der Welt, die zugleich so lange, so fortgesetzt und so scheusslich mit
Verbrechen belastet ist wie die christliche Kirche, ganz besonders die
römisch-katholische Kirche. Diese Erklärung, durch die von mir verfassten oder
herausgegebenen kirchenkritischen Publikationen [...] gedeckt, wird [...] solange
g&uum l;ltig sein, bis dem von mir erbrachten und wohlfundierten Material irgendwann
irgendjemand ein ebenso wohlfundiertes Material gegenüberstellen kann, das irgendeine
andere Organisation der Welt so lang, so fortgesetzt und so scheusslich belastet."
Ich komme zum Schluss: Wenn Sie, verehrte RichterInnen, das Verbot meines Stücks
weiterhin aufrecht erhalten wollen, dann seien Sie doch wenigstens konsequent: Strengen
Sie z.B. ein Verbot des Werkes von Karlheinz DESCHNER an! Und bitte: Verschonen Sie auch
meine eigenen wissenschaftlichen Arbeiten nicht! Ich meine: Es kann doch nicht sein, dass
man einen harmlosen Comicstrip verbietet, aber die religionskritischen Arbeiten und
Vorträge des gleichen Autors verschont, obwohl diese um vieles deutli cher sind! Wo
bleibt denn da die viel zitierte deutsche Gründlichkeit?
Und wenn wir schon beim fröhlichen Verbieten sind: Lassen Sie auch die christlichen
VeranstalterInnen nicht ungestraft davonkommen, die mich hin und wieder sogar dafür
bezahlen, dass ich meine hochgradig gotteslästerlichen Vorstellungen absondere!
Erlauben Sie mir, dass ich - um dies zu demonstrieren - kurz aus einem Vortrag zitiere,
den ich im letzten Monat vor einem beinahe ausschliesslich christlichem Publikum im Rahmen
einer ökumenischen Veranstaltungsreihe hielt. (Sie werden sehen, dass die Schärfe dieses
Angriffs bei weitem alles übersteigt, was im "Maria-Syndrom" zu finden ist. Im
Gegensatz zum verbotenen Stück, das ganz eindeutig NICHT von den biblischen Gestalten
handelt, spreche ich hier nämlich tats&au ml;chlich von der biblischen Gestalt Jesus
Christus)
[...] in den Evangelien zeigt der mythische Jesus als Erfüllungsgehilfe seines
traditionell rachsüchtigen Vaters wenig Erbarmen mit Andersdenkenden, Andersgläubigen.
So heisst es unmissverständlich im Markusevangelium: "Wer glaubt und sich taufen
lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden"
Die Brutalität dieser Drohung den Anders- oder Nichtgläubigen gegenüber ist erst dann
zu ermessen, wenn man weiss, was es bedeutet, vom Menschensohn verdammt werden! [...] Auf
die Verdammten wartet nämlich eine Art himmlisches Auschwitz. Mt13, 41:
"Der Menschensohn wird seine Engel aussenden, und sie werden aus seinem Reich alle
zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und werden sie in
den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt. Dort werden sie heulen und mit den Zähnen
knirschen."
Nur ein Ausrutscher, eine singuläre, unglückliche Metapher? Nein: Nicht einmal zehn
Verse später findet sich noch einmal die gleiche, pyromanische Vorstellung von einer
sauberen Endlösung der Ungläubigenfrage. In Mt 13,49-50 werden die Engel abermals mit
der Selektion an der himmlischen Rampe beauftragt, wo sie "die Bösen von den
Gerechten trennen und in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt", so dass sie
"heulen und mit den Zähnen knirschen."
Selbst in der Bergpredigt, der viel gerühmten, viel zitierten, aus der die humanistischen
TheologInnen ihre wichtigsten Argumente beziehen, finden sich solche - auf infantiler
Gewalt- und Machtphantasie beruhenden - radikal inhumane Strafandrohungen, "deren
unheilvolle, psychisch verheerende Wirkung in der Geschichte des Christentums auf
unzählige Menschen gar nicht übertrieben werden kann." " [Ende des Zitats]
Und nun kommt das Entscheidende: Wissen Sie, was die mehr als Hundert Esslinger ChristInnen, die dieser scharfen Kritik lauschten, nach dem Vortrag taten? Nein, sie haben mich nicht angezeigt, sie haben mich nicht einmal beschimpft. Sie kamen nach vorne, zeigten sich - obwohl sie natürlich nicht mit allem übereinstimmen konnten - "tief beeindruckt von dem gelungenen Vortrag", einige sagten, sie hätten "interessante Denkanstösse bekommen", eine "neue Sicht der Dinge gehört und müssten nun vieles überdenken". Ja, mein theologischer Gesprächspartner meinte sogar, es wäre wohl besser, wenn sich die Kirche nicht mehr auf Petrus, den Fels, sondern auf Thomas, den Zweifler, berufen würde, und die Esslinger Zeitung berichtete von einem christlichen Bildungsreferenten, der "glücklich über den fairen Umgang der Referenten" war.
Welchem Beispiel wollen Sie nun in Ihrer Rechtsprechung folgen? Dem
Beispiel der Esslinger Christinnen, die die schlimmste Beleidigung ihres Glaubens
schluckten, die man sich überhaupt vorstellen kann (nämlich einen
Jesus-Eichmann-Vergleich)? Wollen Sie dem Beispiel dieser aufgeklärten Menschen folgen,
die die scharfe inhaltliche Auseinandersetzung nicht fürchten, ja sogar eine Wiederholung
bzw. Fortsetzung der Diskussion wünschten? Oder folgen sie der engen Stirn christlicher
Funda mentalistInnen, für die selbst KANTs "Kritik der reinen Vernunft"
Teufelswerk ist?
Mit anderen Worten: Stärken Sie mit Ihrem Urteilsspruch die produktive Streitkultur der
Aufklärung, oder aber machen Sie sich zu Handlangern von Leuten, die mit "heiligem
Zwang" einen antiaufklärerischen Gottesstaat errichten möchten. Offenheit oder
Offenbarung? Das ist die zentrale Frage, der Sie sich zu stellen haben.